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Die Suche

Mission ist ein großes Wort. Journalisten sollten niemals Missionare sein. Ihre einzige Mission ist die Suche nach der Wahrheit. Darum geht es. Nicht um mehr. Nicht um weniger.

Vertrauen ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Ohne Vertrauen geht nichts. Wir müssen Polizisten vertrauen, Sanitätern, Feuerwehrmännern, dass sie uns beschützen. Wir müssen Richtern vertrauen, dass sie gerechte Urteile sprechen. Politikern, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen regieren. Und Journalisten, dass sie uns wahrhaftig informieren.
Doch die Wahrheit ist schwer zu fassen. Selbst wenn wir glauben, sie zu kennen, kann sie sich morgen als Irrtum herausstellen. Niemand sollte behaupten, sie gepachtet zu haben. Doch die Wahrheit für unmöglich zu erklären, wie das Vertreter von US-Präsident Donald Trump tun, wäre der falsche Schluss. Seine Beraterin Kellyanne Conway behauptete, es gebe “alternative Fakten”, sein Anwalt Rudy Giuliani sagte sogar: “Es gibt keine Wahrheit”. Dieses Verständnis von Wahrheit ist gefährlich.

Das Vertrauen in den Journalismus ist im Dezember 2018 schwer erschüttert worden. Das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” machte bekannt, dass sein Reporter Claas Relotius vielen seiner Artikel falsche Fakten beimischte oder seine Geschichten gleich ganz erfand. Der Flurschaden ist enorm.
Umso mehr gilt, was wir – 18 junge Journalisten der Axel Springer Akademie in Berlin – mit diesem Projekt thematisieren wollen (das wir vor dem Fall Relotius gestartet haben): Die Wahrheit muss handlungsleitend für unsere Arbeit sein. Journalisten sollten nicht glauben, dass sie die eine Wahrheit tatsächlich finden werden. Wohl aber können Reporter die Wahrheit suchen. Sie vervollständigen Bilder mit Fakten. Machen sichtbar, was andere lieber im Dunkeln gelassen hätten. Journalisten schauen den Mächtigen auf die Finger und zwingen sie, sich zu erklären. Vollständig objektive Berichterstattung wird es nie geben können. Trump verdreht diesen Gedanken jedoch, wenn er Journalisten als “Feinde des Volkes” beschimpft, weil sie Tatsachen anders deuten als er.

Tatsächlich gibt es schlechte Journalisten, so wie es mitunter auch schlechte Rechtsanwälte, Polizisten und Ärzte gibt. Der „Fall Relotius” hat uns das schmerzlich in Erinnerung gerufen.

Für gute Journalisten liegt aber genau hier die Möglichkeit, Vertrauen in ihre Arbeit zurückzugewinnen. Durch Transparenz. Journalisten müssen die Säulen ihrer Arbeit sichtbar machen. Das digitale Zeitalter bietet dazu einzigartige Chancen. Journalisten können auf ihren Online-Profilen ihre Recherchewege veröffentlichen. Ihre Themenwahl erläutern. Ihre Haltungen und Standpunkte darlegen und dadurch den Eindruck entkräften, nur politische Überzeugungen zu transportieren. Und wenn ihnen ein Fehler unterläuft, müssen sie erklären, wie es dazu gekommen ist. So können sie glaubhaft machen, dass sie ihren Job künftig noch besser machen werden.

Schon immer standen Journalisten mit ihrem Namen für ihre Berichte, Reportagen und Kommentare ein. Jetzt, im digitalen Zeitalter, können sie im Wortsinn Gesicht zeigen und so einlösen, was von jeher die Grundlage einer offenen Gesellschaft ist: Wir sagen uns unsere Meinung ins Gesicht. Über Kommentarfunktionen und persönliche Blogs können Reporter direkt in Kontakt zu ihren Lesern treten. Und zuhören.
Der einzelne Journalist ist im Internetzeitalter eine Nussschale im Ozean. Für Großkonzerne und Behörden mit großen Rechtsabteilungen ist es leicht, sie mit Rechtsverfahren einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Um sich mit ihnen anzulegen, brauchen Journalisten Unterstützung. Früher ermöglichten Zeitungen und Medienmarken Journalisten vor allem wirtschaftlich und logistisch, ihre Arbeit zu verbreiten. Immer wichtiger wird aber auch, dass sie ihren Reportern den Rücken stärken, so dass diese mutiger, kompromissloser und unbequemer sein können. Umso wichtiger ist es, dass sie auf die Meinungsvielfalt in ihrem Haus achten. Auch das schafft Vertrauen.
Bei aller Offenheit gibt es tatsächlich ein Geheimnis, dass ein Journalist hüten muss: seine Informanten. Sie gilt es um jeden Preis zu schützen. Dazu sollten wir künftig noch schärfer zwischen Informanten und anderen Quellen unterscheiden. Journalisten müssen ihre Quellen offenlegen, nicht aber ihre Informanten. Nur so wird die Wahrheit ihren Weg ans Licht finden. Welcher Whistleblower kann darauf vertrauen, in einer Behörde oder einem Unternehmen mit seinen Zweifeln gehört zu werden? Oft genug haben Verantwortliche kein Interesse daran, Missstände zu beseitigen – denn oft genug sind sie selbst daran schuld.

Von diesem neuen Geflecht des Vertrauens profitieren alle: Informanten können sich darauf verlassen, nicht mit ihrer Existenz für das Offenlegen von Missstände bezahlen zu müssen. Journalisten können sich darauf verlassen, bei ihrer Arbeit geschützt und nicht etwa behindert zu werden. Bürger können sich darauf verlassen, dass gute Journalisten ihren Beitrag bei der Wahrheitssuche leisten. Indem sie Fakten recherchieren, Zusammenhänge herstellen, Hintergründe aufzeigen.

Mission ist ein großes Wort. Kein Journalist sollte missionieren. Im eigentlichen Sinn bedeutet Mission aber zunächst: Auftrag. Der Wahrheit nachzuspüren – das ist der Auftrag von Journalisten. Darum geht es. Um nicht mehr. Und nicht weniger.